17.12.2022 - Die Neubaustrecke - Wendlingen - Ulm

Rückblick von Rainer Vogler


17.12.2022 Die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm und Besichtigung der Fahrzeug-Instandhaltung in Ulm

In der Woche vor dem Fahrplanwechsel am 11.12.2022 fanden zunächst bahninterne Sonderfahrten zwischen Wendlingen und Ulm via Neubaustrecke statt, von denen nur Eingeweihte wussten. Anlässlich der offiziellen Einweihung, an der Bahnvertreter, Politiker und Pressevertreter teilnahmen, verkehrten am 09.12.2022 zwei Sonderzüge, ein ICE und ein IRE200, teilweise parallel fahrend, nach Ulm. An öffentlichen Schnupperfahrten am 10.12.2022 konnten nur Interessenten teilnehmen, die sich bei verschiedenen Zeitungen im Vorfeld um kostenlose Fahrkarten online bemühten. Viele gingen dabei leer aus. Am Tag darauf, am 11.12.2022, ging es morgens mit planmäßig verkehrenden Zügen los: ICE nach und von München sowie der neu eingerichtete IRE200 Wendlingen – Ulm mit Zwischenhalt in Merklingen – Schwäbische Alb.


Auf Initiative von Gerhard Schnaitmann und in enger Zusammenarbeit mit Martin Selig, Regionalleiter Produktion DB Regio Ulm, wurde für die Verkehrsfreunde Stuttgart e.V. ein Tagesausflug am 17.12.2022 nach Ulm mit Befahrung der Neubaustrecke und Besichtigung der Fahrzeug-Instandhaltungs-, Behandlungs- und Abstellanlage (FIBA) in Ulm zusammengestellt.


Bei dieser Besichtigung, so kurz vor Weihnachten, wurden wir von 120 Anmeldungen überrascht. Effektiv unterwegs waren etwas weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nachdem wir leider auch kurzfristige Absagen aus unterschiedlichen Gründen entgegennehmen mussten.


Fast alle fanden sich um 10 Uhr gegenüber der DB Lounge beim Stuttgarter Hauptbahnhof ein und wurden dort von Gerhard Schnaitmann begrüßt. Trotz möglicher Streikauswirkungen ging es im geplanten RE der SWEG um 10.23 Uhr in Richtung Wendlingen los. Unterwegs und im Bahnhof Wendlingen stießen noch einige Teilnehmer hinzu. Für die meisten gab es im Bahnhof Wendlingen einiges noch Ungewohntes zu sehen: ICE und den IRE200, mit dem wir nach Ulm fahren wollten. Betrieblich interessant sind die mehr oder weniger langsamen Durchfahrten der ICE durch den Bahnhof, da die Ausfädelung aus der Bestandsstrecke Plochingen – Tübingen nur mit max. 80 km/h befahrbar ist. Unser IRE200, bestehend aus einer ELL-193, fünf ehemaligen IC-Wagen in roter DB-Regionalzug-Lackierung und am anderen Zugende ebenfalls einer ELL-193, fuhr pünktlich, aus Ulm kommend, ein. Am Gleis 3 konnten wir dann gemütlich einsteigen, denn die Fahrt nach Ulm über die Schnellfahrstrecke erfolgte nach einer längeren, planmäßigen Wendezeit.


Für die Leistungen des IRE200 stehen insgesamt 7 Elloks der Baureihe 193 (Siemens Vectron) des Lokdienstleisters ELL (European Locomotive Leasing) mit ETCS-Ausrüstung zur Verfügung. Drei Wagengarnituren mit je einer Maschine an den Zugenden können eingesetzt werden. Planmäßig werden zwei Züge benötigt, die dritte dient als Reserve.


Insgesamt gesehen war die Belegung des Zuges mit uns als Gruppe und einigen „normalen“ Fahrgästen vergleichsweise übersichtlich. Aber so konnten wir die Plätze frei wählen, die Fensterplätze waren wie immer begehrt.


Nach der Ausfahrt aus dem Wendlinger Bahnhof ging es zunächst gemächlich auf die Verbindungskurve, die auch einen kurzen Tunnelabschnitt aufweist, zur Schnellfahrstrecke Richtung Ulm. Gleich darauf folgte die Einfahrt in den 8,2 km langen Albvorlandtunnel, der interessanterweise auf dem linken Richtungsgleis durchfahren wurde. Erst nach Verlassen dieses Tunnels wechselt der Zug auf das rechte Richtungsgleis und kann auch erst jetzt richtig beschleunigen. Zielgeschwindigkeit ist 200 km/h. Die ICE dürfen ab hier auf 250 km/h beschleunigen.


Auffällig ist das Fehlen von Lichtsignalen. Die komplette Steuerung der Schnellfahrstrecke erfolgt über ETCS (European Train Control System), bei dem der Triebfahrzeugführer auf seinem Führerstand die Signalisierung dargestellt bekommt. Die Steuerung des Zuges übernimmt die Automatik.

Bevor es auf die Schwäbische Alb hinaufgeht, wird der nur 252 m lange Tunnel Aichelberg durchfahren. Kurz darauf folgt der mit 8808 m längste Tunnel der Neubaustrecke, der Boßlertunnel. Nur wenige Sekunden dauert die Aussicht von der nachfolgenden Filstalbrücke, an die sich der Steinbühltunnel (4847 m lang) unmittelbar anschließt. Der komplette Albaufstieg weist Steigungen bis zu 30,99 Promille auf, die im Tunnel allerdings kaum spürbar sind. Die Albhochfläche ist nun erreicht. Die Autobahn A8 wird dort in einem 278 m langen Tunnel unterquert. Die Schwäbische Alb präsentierte sich an diesem Tag als zauberhafte Landschaft: Sonnig, alles schneebedeckt, die Bäume ebenfalls verschneit. Die Strecke führt hier entlang der Autobahn.


Der Halt im neuen Regionalbahnhof Merklingen – Schwäbische Alb nach 14 Minuten Fahrzeit war nur kurz. Im weiteren Streckenverlauf mussten noch zwei weitere kurze Tunnel (Tunnel Merklingen, 384 m lang, und Tunnel Imberg, 499 m lang) durchquert werden. Wenige Minuten danach ging es in den Albabstiegstunnel. Nach 5897 m kam der Zug wieder ans Tageslicht und hatte damit Ulm Hbf erreicht. Nach nur 27 Minuten war unser erster Programmpunkt schon vorüber.


Gleich nach der Ankunft stieg unsere Gruppe in einen von DB Regio bereitgestellten Sonderzug um, der uns zur FIBA brachte. Dieser entpuppte sich als Neigetechnikzug der Baureihe 612. In langsamer Fahrt ging es zunächst entlang des Bereichs der FIBA, der für die Dieselloks zuständig ist. Es folgten dicht belegte Abstellanlagen und rechts eine leere Fläche, auf der einst die Anlagen des Bw Ulm Rbf (Drehscheiben 2 und 3 mit dazu gehörenden Lokschuppen) standen. Die Drehscheibe 1 mit Lokschuppen 1 existieren noch, letzerer steht unter Denkmalschutz. Unsere Fahrt endete vor den Toren der 2014 in Betrieb genommenen, 230 m langen Werkstatthalle. Hier wurden wir von zwei leitenden Mitarbeitern der FIBA in Empfang genommen. Nach den obligatorischen Sicherheitshinweisen ging es in zwei Gruppen durch die Werkstattgebäude: Die große Werkstatthalle besitzt zwei Gleise, auf denen die elektrisch angetriebenen Fahrzeuge gewartet und repariert werden können. Es sind Arbeitsstände zum Erreichen der auf den Fahrzeugdächern angeordneten Aggregate vorhanden, dazu mannigfaltige Arbeitsgeräte auf Schienenhöhe und auf einer tiefer gelegenen Ebene. Zum Tausch von Drehgestellen und Aggregaten unter dem Fußboden kann ein rund 70 m langer Elektrotriebwagen am Stück angehoben werden. Eine Unterflurdrehbank für die Bearbeitung von Radreifen ist genauso vorhanden, wie auch ein Messgleis mit Wiegeeinrichtung. Letztere Einrichtung ist notwendig, um nach Reparaturen am Fahrwerk die Einstellungen der Drehgestellfederung zu kontrollieren. In der benachbarten 125 m langen, dreigleisigen Halle werden Unterhaltsarbeiten an Dieseltriebwagen vorgenommen. Hier konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Blick unter einen Neigetechnik-612 werfen. Im Außenbereich befindet sich eine 90 m lange Außenreinigungsanlage. Auffällig sind die zahlreichen Regale und Materiallagerstätten. Dies hat den Hintergrund, dass bei der FIBA in Ulm für einen derartigen Standort eine ungewöhnlich große Fahrzeugvielfalt anzutreffen ist:


Dieseltriebwagen: Baureihen 612, 644, 650

Dieselloks: Baureihen 218, 245, 365

Elektrotriebwagen: Baureihen 425, 426, 440

Elloks: Baureihen 111, 146.2, 193

Doppelstockwagen

Historische Fahrzeuge: VT 12.5 „Stuttgarter Rössle“ und eine Schienenbusgarnitur Baureihe 798


Nach der gut einstündigen Besichtigung ging es mit dem Neigetechnik-612 in gemächlicher Fahrt wieder zurück zum Ulmer Hauptbahnhof. Dort wurden wir noch mit einem kleinen Vesper versorgt, bevor es auf die Rückfahrt nach Stuttgart ging. Doch diese sollte anders als geplant verlaufen.

Nach und nach hatte es sich herumgesprochen, dass auf der Neubaustrecke eine Weiche defekt sei. Dennoch wurde pünktlich ein IRE200 bereitgestellt, in dem wir es uns auch gemütlich machten. Kurz vor der fahrplanmäßigen Abfahrt wurde der Ausfall des Zuges verkündet, so dass wir in einen Regionalzug – der RE5 war kurz zuvor nach Stuttgart abgefahren – umsteigen mussten. So kamen wir in den Genuss, die 172 Jahre alte Strecke über Geislingen/Steige und Göppingen nach Stuttgart zu fahren. Unterwegs füllte sich der Zug immer mehr mit zahlreichen Fahrgästen, die sich offenbar an diesem Samstag mehrheitlich einen Besuch der Weihnachtsmärkte in Esslingen und Stuttgart vorgenommen hatten. Ein interessanter und ereignisreicher Tag ging damit mit reichlich späterer Ankunft als geplant in Stuttgart zu Ende.



Wir danken dem Regionalleiter, Herrn Martin Selig, dass er uns die Besichtigung „seiner“ FIBA ermöglichte und Herrn Serdar Dag, der die Besichtigung anstelle des erkrankten Regionalleiters leitete! Den beiden Herren vor Ort danken wir für die umfassenden Erläuterungen und die Beantwortung unterschiedlichster Fragen. Besonders bedanken wir uns bei unserem Ehrenmitglied Gerhard Schnaitmann. Hatte er doch die richtigen Kontakte ak⁠tiv⁠⁠iert, um den Verkehrsfreunden einen interessanten Tag bei der modernen Eisenbahn zu bieten.

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